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NOVA-Klassifikation für Lebensmittel

Die NOVA-Forschungsgruppe um Professor Carlos A. Monteiro hat ein neuartiges Bewertungsschema für Nahrungsmittel entwickelt, das sich am Grad der Verarbeitung und damit an der Entfernung von der Natur orientiert. Dabei gilt industrielle Verarbeitung als solche nicht als problematisch, erst die „ultra-verarbeitete“ Nahrung wird als neuartiges Gesundheitsrisiko identifiziert: Dazu gehört Fastfood, Fertignahrung, Softdrinks, industriell hergestellte Babygläschen. Die NOVA-Klassifikation stellt einen Paradigmenwechsel in der Bewertung von Nahrung dar. Mit ihr können die unterschiedlichen Typen von Nahrung je nach ihrem Gefährdungspotenzial eingeordnet werden können. Es ist das erste adäquate Modell zur Beurteilung der modernen Lebensmittelrisiken im 21. Jahrhundert und könnte die Basis bilden für eine neue Lebensmittelpolitik, die auf die realen Gefährdungen abzielt.

 

NOVA ist keine Abkürzung, es erinnert allenfalls an die lateinische Bezeichnung für »neu« (novum). Das neue Bewertungssystem wurde erstmals im Jahr 2009 in der Zeitschrift Public Health Nutrition vorgestellt und mittlerweile weiterentwickelt und verfeinert. Es umfasst vier Lebensmittelgruppen, die unterschiedlichen Verarbeitungsstufen entsprechen. Das NOVA-Modell könnte die Grundlage sein für eine zeitgemäße Kennzeichnung, und wird schon praktiziert bei der internationalen Bewegung Open Food Facts.

 

Stufe 1: Frische Lebensmittel wie Obst, Gemüse, Eier, Fleisch.

Stufe 2: Leicht verarbeitete Zutaten wie Butter, Mehl, auch Honig, Zucker und Salz.

Stufe 3:  Verarbeitete Lebensmittel, wie Brot, Marmelade, auch Wein und Bier.

Stufe 4: Ultra-verarbeitete Nahrung Fastfood, Fertignahrung, Softdrinks, »Frucht«-Joghurt, Tiefkühlpizza, Cornflakes,  Müsli aus dem Pappkarton, Babygläschen

 

Bei den Erzeugnissen auf Stufe 4 handelt es sich nach der Definition der NOVA-Forscher um völlig neuartige Verzehrprodukte, die mit herkömmlichen, natürlichen Lebensmitteln kaum etwas zu tun haben. Es sind nicht einfach veränderte (»modifizierte«) Lebensmittel, sondern spezielle Konstruktionen (»Formulierungen«), die »größtenteils oder vollständig« zusammengesetzt sind aus Zutaten, die aus Lebensmitteln gewonnen wurden (etwa Granulaten aus Hühnerfleisch, genannt »Trockenhuhn«), sowie chemisch hergestellten Zusatzstoffen.

 

Mittlerweile sind ihre Erkenntnisse weithin anerkannt, auch in internationalen Institutionen wie etwa der Weltgesundheitsorganisation (WHO), wo NOVA-Pionier Monteiro Mitglied der WHO Nutrition Guidance Expert Advisory Group ist, einer sachverständigen Beratungsgruppe zu Ernährungsfragen.

 

Es geht dabei erstmals nicht mehr um Kategorien wie Kalorien, um Nährstoffe, Schadstoffe, Krankheitserreger, Zucker und Salz, Viren und Bakterien. Nicht das Verhältnis dieser Elemente sei für die modernen Volkskrankheiten im 21. Jahrhundert verantwortlich, sondern die immer weiter zunehmende Entfernung von der Natur

 

Nach Einschätzung der Forscher ist für die modernen Zivilisationskrankheiten im 21. Jahrhundert, auch für das weltweit grassierende Übergewicht, vor allem die zunehmende Verbreitung solcher Produkte verantwortlich. Weltweit untersuchen Forscher an Universitäten und staatlichen Einrichtungen damit die Ernährungslage in vielen Ländern und die Zusammenhänge mit den großen »Seuchen«, den »Volkskrankheiten« von Alzheimer über Herzleiden und Krebs bis zur »Zuckerkrankheit« Diabetes. Auch die Welternährungsorganisation FAO nutzt die NOVA-Klassifikation. In insgesamt 79 Ländern haben Forscher das System angewandt.

 

An dem NOVA-Schema können sich auch politische Maßnahmen orientieren.

 

Bisher zeigt die Politik in der Europäischen Union und namentlich auch in Deutschland wenig Neigung, sich dafür zu erwärmen. Die Verantwortlichen setzen auf freiwillige Maßnahmen der Konzerne, »Reduktionsstrategien« bei Zucker, Fett oder Salz, oder gar auf Zusammenarbeit mit den Herstellern des Ungesunden, auf nationaler, europäischer sowie globaler Ebene.

 

Die NOVA-Forscher lehnen solche Strategien ab. wegen fehlender Erfolgsaussichten: „Die veränderte Zusammensetzung von Produkten wird die öffentliche Gesundheit nicht verbessern.“

 

Denn die ultra-verarbeiteten Produkte seien aufgrund ihrer Konstruktionsprinzipien ungesund, woran punktuelle Korrekturen nichts änderten: „Es handelt sich fast immer um inhärent ungesunde Produkte, die in den Ernährungsrichtlinien meist als Produkte bezeichnet werden, die nur gelegentlich verzehrt werden sollten. Sie werden durch Manipulation ihrer Inhaltsstoffe lediglich etwas weniger ungesund gemacht.“

 

Eine solche Politik der Kooperation mit den Konzernen würde die Dominanz des Ungesunden noch fördern und festigen: Auf diese Weise können Produkte mit weniger Zucker, Salz, Fett „als positiv gesunde Lebensmittel beworben werden“. Das Ergebnis werde „zwangsläufig eine beschleunigte Verdrängung traditioneller und gut etablierter Ernährungssysteme sein“, die bisher eine ausreichende und vielfältige Versorgung mit frischen und wenig verarbeiteten Lebensmitteln gewährleisten. Besonders im globalen Süden seien bei einer solchen Politik „die Aussichten desaströs“.

Bewertung von Nahrungsmitteln nach dem NOVA-System
© Empfehlung gemäß Ernährungsrichtlinien des brasilianischen Gesundheitsministeriums, 2014